Weitergehen

Wir sind nicht zum Vergnügen hier, also arbeite ich den halben Tag, bis ich vor Hunger fast vom Stuhl falle. Nach dem Essen (fried rice) bin ich so müde, dass ich auf dem Sofa einschlafe. Mein Spaziergang verschiebt sich deshalb in die Abendstunden und ich lerne, dass mir die Dunkelheit keineswegs entgegenkommt beim Überqueren der Straßen. Meine größte Herausforderung in diesem Land ist das Gehen, das Vorwärtsgehen, Weitergehen. Irgendwann werde ich die laute Stadt verlassen und in die Berge, in die Höhe gehen wollen. Nicht auf den Everest. Nicht in meinem Alter. Darunter ist es überall hoch genug. Ich (alp-)träume von den Hängebrücken, die überall über engen Schluchten hängen, im Winde schwanken, in schwindelerregender Höhe und immer mal wieder Teile verlieren. Wer Pech hat, tritt mittendrin ins Leere. So stelle ich mir das schweißgebadet vor. Die schwer beladenen Yaks laufen aber auf den Filmchen bei YouTube unbekümmert rüber, Schulkinder auch, die Bauern sollen störrische Esel mitsamt ihrer Last gerne mit zusammengebundenen Beinen huckepack rübernehmen. Damit sie nicht verloren gehen. Gestern querte ich zweimal eine großstädtische Variante. Aus massivem Eisen. Über einem vertrockneten Rinnsal, sozusagen bodennah, auf Straßenniveau. Alle warten hier auf Regen. 

Und ich werde mir einen Lama suchen, der mir hilft, die Höhenangst zu überwinden. 

Noch habe ich das Gefühl, dass alles hier im ruhigen Fluss ist. In Warschau oder Berlin erkennt man Touristen daran, dass sie herumschlendern, sich zu langsam bewegen, herumgucken und den Einheimischen im Weg stehen. Hier ist es umgekehrt. Ich bin immer schneller und ungeduldiger als die Nepalis. Nicht nur Frauen und junge Mädchen schlendern, schwatzen, untergehakt oder nicht. Auch Männer. Jeden Alters. Niemand scheint es hier eilig zu haben. Das Tempo der Motorisierten ist rein äußerlich. Scheint mir. Wie das Hupen. Das ist eher Warnung als Wut. Aufruf zur Vorsicht. Keine Aggression. Niemand will dem andern etwas Böses. Nur Vorwärtskommen. Jeder weicht aus. Immer rechtzeitig. Scheint mir.

Die Studentin kürzlich sah das alles ganz anders.

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