Grenzverletzung

Ich bin seit zehn Jahren auf dem Weg nur zu mir. Übe mich darin, ungesunde Umwelteinflüsse jeglicher Art abzuwehren. Und mich auf mich zu konzentrieren. Indem ich atme, denke, fühle. Schweige, schreibe, schwimme. Ich zog auf die Hallig, suchte ein weltliches Klosterleben und scheiterte kläglich! Nichts ist verwerflicher als das Leben auf Kosten anderer. Reumütig kehrte ich zur Einkehr in meinen eigenen Garten zurück, nahm zwei schwarze Kater in Pflege, widmete ein Teil meines Hauses in ein Tierhospiz um, bis ich sie unter der Edelkastanie zur letzten Ruhe betten durfte. Immer und immer wieder schaute ich hinter den unverstellten Horizont, versuchte dort irgendetwas zu erkennen, zu erhaschen, zu erreichen. Ich fand nichts und kam nirgends an. Eine zwar großartige Leere umgab mich und auf dem Deich dicke Menschen, denen ich aus dem Wege ging. Ich driftete mehr und mehr aus dem Raum.

Dann fiel im Oktober das erste der 546 Rufzeichen vom Himmel: Lalitpur. Ich ahnte damals nicht, dass dies ein Rufzeichen war, und schon gar nicht, dass es direkt vom Himmel kam. Aber ich folgte ihm unbeirrt. Bereits im Januar konfrontierte mich ein kluger Kopf mit Wertvorstellungen aus dem hessischen Vogelsberg, warf mir Grenzverletzung vor, Video-Voyeurismus, weil ich mich zur christlichen Weihnacht ständig mit dem Helikopter bei günstigen Aufwinden auf den Everest hochheben ließ. Das sei ein Land nur für Eingeweihte, schrieb er mir, tabuisiertes Land! Tempel nur für Eingeweihte, Berge nur für Eingeweihte, Helikopter nur für Konsum-Menschen, "bloße Sehnsucht reicht nicht". Dieser Satz lag mir mit seiner Strenge Wochen, Monate schwer im Magen. Ich sehnte mich überhaupt nicht - und schon gar nicht "bloß" - nach Lalitpur, Kathmandu, Panpokhari. Allesamt Namen, die ich noch nie gehört, geschweige denn die Orte, denen sie gehören, gesehen, geliebt, bewundert oder vermisst habe. 

Und - schoss es mir in schlaflosen Winternächten immer wieder durch den Kopf - was ist mit den anderen, mit denen, die in umgekehrter Richtung unterwegs sind. Finden die in unseren Weihnachtskirchen auch keinen Einlass? Auf unseren Weihnachtsmärkten? Weil auch hier alles nur für Eingeweihte ist, der Wohlstand, das Wachstum, die Wirtschaft, das Wohnzimmer und der Beichtstuhl ... 

Ich verlasse jetzt das Land der Deutschen, und kehre mich ab von der deutschen Deutungshoheit.

Kommentare

  1. Was können die Dithmarscher dafür, dass Sie nicht in der Lage sind, hinter den Horizont zu gucken. Wie schön, dass Sie jetzt den dicken Menschen auf dem Deich nicht mehr aus dem Weg gehen müssen. Alles Gute in Nepal.

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